Zen Sounds 004: Interview mit Glenn Astro
Ein Gespräch über musikalische Einflüsse, unerwünschte Etikettierungen und sein aktuelles Projekt Beats Unlimited mit Doc Sleep
Kennengelernt habe ich Glenn Astro vor gut fünf Jahren. Damals erschien ein gemeinsames Album mit Max Graef bei Ninja Tune, und zu diesem Anlass führte ich ein Interview. Den staubigen MPC-House, den die beiden Produzenten auf dem dänischen Tartelet-Label, aber auch ihrem eigenen Label M$R (Money $ex Records) kultiviert hatten, empfand ich zu dieser Zeit als unglaublich erfrischend.
Damit war ich nicht alleine: Lo-Fi House wurde in den Folgejahren ein globaler Trend, und auch wenn heute mal wieder niemand dabei gewesen sein will, war die Musik hinter dem stereotypen Etikett eine notwendige Gegenbewegung zu glatter Großraum-EDM und seelenlosem Tech-House. Der nostalgische, raue Retro-Vibe gefiel auch vielen Hip-Hop-Fans, die von der dominanten (Afro-)Trap-Ästhetik gelangweilt waren.
In den fünf Jahren seitdem ist viel passiert. M$R existiert nicht mehr; Glenn Astro hat alles mögliche produziert, von Jazz über Neo-Soul bis Ambient, aber keinen Lo-Fi House. Inzwischen arbeitet der bescheidene Produzent wieder in einem Day Job. Nicht auf die Einnahmen als Musiker angewiesen zu sein, gibt ihm die Freiheit, vollkommen unkommerzielle Platten wie das »Beats Unlimited«-Album zu machen, das mit der amerikanischen Techno-Produzentin Doc Sleep entstanden ist und im Sommer beim japanischen Diskotopia-Label veröffentlicht wurde – ein wundervolles Projekt zwischen Dub, Ambient und 2000er-Jahre-Microhouse. Zeit für einen ausführlichen Rückblick.
In unserem ersten Interview hast du mir damals erzählt, dass deine musikalische Sozialisation hauptsächlich aus Hip-Hop bestand.
Auf jeden Fall. Dazu bin ich jedenfalls am meisten feiern gegangen. Wir waren viel auf Freestyle-Jams und Konzerten, später dann im Club, meistens im »Robespierre« in Bochum. Wir waren primär im Ruhrgebiet unterwegs, aber auch mal in Köln oder Düsseldorf. Musik war der zentrale Punkt in unserem Leben.
Wann hast du angefangen, selbst Musik zu machen?
Als ich 12, 13 Jahre alt war, habe ich mit Auflegen und Beats machen angefangen. Bei beidem wusste ich allerdings nicht wirklich, was ich da mache. Mein bester Freund Taner hat mir eine gecrackte Version von Fruity Loops gegeben. Damit habe ich Drum’n’Bass gemacht, aber auch weirde Techno- und Rave-Sachen. Parallel habe ich mich in Turntablism und Beatjuggling versucht, aber das hat sich bald wieder erledigt, weil ich einfach zu schlecht war und keinen Bock hatte, jeden Tag nach der Schule drei, vier Stunden zu scratchen. Also habe ich Hip-Hop-Beats gemacht.
Welche Producer haben dich damals inspiriert?
Erstmal klassisch Premo, später Hi-Tek und Just Blaze, dann kamen Madlib und Dilla, später auch Timbaland und die Neptunes. Also schon die ganz klassische Hip-Hop-Produzenten-Sozialisation.
Hast du mit Rappern zusammengearbeitet?
Nicht wirklich. Ich kannte niemanden, der gerappt hat. Wir waren auch einfach nie große Deutschrap-Fans und hatten nie Platten in die Richtung gekauft. Deswegen hatten wir gar nicht die Ambition, irgendwelche deutschen Rapper kennen zu lernen. Das hat sich erst später zufällig ergeben, als wir irgendwann Freunde in der Clique hatten, die auch gute Rapper waren.
Deine ersten offiziellen Veröffentlichungen kamen ab dem Jahr 2011. Wie sind die Labels damals auf dich aufmerksam geworden?
Über Soundcloud, glaube ich. 2009 oder 2010 habe ich eine CD mit zehn Remixen gebrannt und lokal verteilt, aber auch hochgeladen. Da war von Rock bis Hip-Hop alles dabei, eine Sensational-Nummer, aber auch eine von der Indie-Band Jet, eine von Blaze, eine von Vikter Duplaix und eine von einem Kumpel von mir, der auf Deutsch gerappt hat… völlig konzeptlos. Das waren halt alles Songs, von denen ich die Acapellas auf Platte hatte. Irgendein Blog hat diese CD hochgeladen, dadurch kam es so ein bisschen ins Rollen. So hab ich KRTS kennengelernt, der damals noch in New York gelebt hat. Er hat einen Remix für mich gemacht, ich einen für ihn. Der war auf seiner Platte auf Project: Mooncircle mit drauf, und auf einmal haben mich auch andere Labels nach Tracks gefragt. Das hatte allerdings alles gar nichts mit Hip-Hop zu tun, das waren alles klassische House-Platten.
Wie kam dieser Wechsel von Hip-Hop zu House zustande?
Mein Kumpel Taner und ich, wir mochten immer schon elektronische Sachen, House und Techno, aber weil das in unserer Hip-Hop-Clique ein bisschen verschrien war, haben wir das nie groß erwähnt. Trotzdem haben wir uns schon ein bisschen ausprobiert und zwischendurch auch mal Electro oder House produziert. Für mich war es nicht so ungewöhnlich, dass meine House-Tracks zuerst veröffentlicht wurden.
Dein erstes Album »Throwback«, das 2015 bei Tartelet erschienen ist, hatte beides: Hip-Hop-Beats und House-Tracks. In Deutschland war es eher selten, dass es Überschneidungen zwischen diesen Szenen gab.
Ja, stimmt. Im Nachhinein habe ich von vielen Hip-Hop-Produzenten gehört, dass sie auch gern elektronische Musik gehört haben. Aber in der Hip-Hop-Blase haben viele das eher für sich behalten – bis es irgendwann okay war, das auch mal zuzugeben. (lacht)
Einer deiner wichtigsten Kollaborateure bis heute ist Max Graef. Wann habt ihr euch kennengelernt?
Das war 2012, als die ersten Box aus Holz-Platten erschienen sind. Wir haben uns über Soundcloud connected. Wenn ich in Berlin war, haben wir uns getroffen und hingen viel zusammen rum. Später bin ich auch nach Berlin gezogen. Da hatte sich schon ein kleiner Kreis gebildet mit Max und Emil, der das Tartelet-Label in Kopenhagen macht und der Max’ erstes Album [»Rivers Of The Red Planet«] und auch mein erstes Album veröffentlicht hat. Dann gründeten Max und ich unser eigenes Label.
Neben euch veröffentlichten auf M$R auch Hodini, Twit One, Dexter und Knowsum. Wie siehst du diese Zeit rückblickend?
Ich glaube, Max und ich sehen es heute rückblickend beide nicht nur überwiegend rosig. Deswegen haben wir 2018 auch beschlossen, es einzustellen beziehungsweise in Termina umzubenennen. Wir waren halt diese MPC-Dudes, die House-Beats mit Jazz-Samples machen. Aber das hatten ja Moodymann und ganz Detroit einfach schon zehn Jahre vor uns gemacht. (lacht) Durch M$R etablierte sich eine Schublade, es wurde eine Karikatur von sich selbst. Das wurde ein bisschen miefig und es war ja auch so ein Weiße-Männer-Ding… ich fand’s einfach irgendwann eher unangenehm. Klar, am Anfang war es lustig. Das war ja alles nicht durchdacht oder geplant. Allein schon der Labelname und diese ganzen Insiderwitze. Ich frage mich bis heute, was die Leute gedacht haben, wenn sie die Songtitel gelesen haben. Am Ende hat es einfach ein Eigenleben entwickelt, worüber wir keine Kontrolle mehr hatten. Da mussten wir intervenieren, es wurde Zeit für was anderes.
Wart ihr denn beeinflusst von Theo Parrish oder Moodymann?
Ja, ich definitiv. Max wahrscheinlich zu einem gewissen Teil auch, aber er ist etwas jünger und kommt eher aus dem Rock-Bereich, hat viel in Bands gespielt. Ich habe sehr viel aus Detroit und Chicago gehört, vor allem in der Uni-Zeit. Ich wollte einfach nur die Sachen nachmachen von den Leuten, die ich cool fand, und vielleicht noch etwas eigenes reinbringen, einen kleinen eigenen Twist.
In dieser Lo-Fi-House-Welle wart ihr früh dran. Ihr habt 2016 das Album »The Yard Work Simulator« für Ninja Tune produziert, aber das hatte mit Lo-Fi House schon nicht mehr viel zu tun. Ihr wart mit dem Thema schon wieder durch, als es für die meisten gerade erst richtig losging.
Ja, das war wahrscheinlich auch ein Grund dafür, warum das Album so gefloppt ist. Ich glaube, das Label hatte auch die Erwartungshaltung, dass wir ein Lo-Fi-House-Album machen. Es gab nur einen einzigen Song auf dem Album, der in diese Richtung ging. Der Rest war einfach nur seltsam, da haben wir Sachen auf Tonband aufgenommen und während der Aufnahme das Tonband angehalten… jedenfalls war es alles andere als das, womit Ninja Tune vermutlich gerechnet hat. Die PR hat sich dann aber schon etwas auf dieses House-Ding versteift, obwohl es das nicht so ganz war... Das war alles ein wenig unglücklich.
Hattest du noch lange mit dieser Lo-Fi-House-Schublade zu kämpfen, zum Beispiel im Booking?
Einerseits hat mir diese Schublade natürlich überhaupt erst viele Gigs ermöglicht. Gleichzeitig kam ich mir oft einfach fehl am Platz vor und konnte mich damit nicht identifizieren, wie ich angekündigt oder was von mir erwartet wurde. Ich hatte sehr oft enttäuschte Gesichter auf der Tanzfläche vor mir, weil eben nicht das Vorhersehbare kam. Das war ein bisschen schwierig und es hat eine Zeit gedauert, bis es sich wieder eingependelt hat. Ich wollte aber ohnehin weniger spielen und aus dieser Industrie aussteigen, also hat es sich dann automatisch erledigt.
Du hättest ja auch sagen können: Ich reite jetzt diese Welle, weil das nun mal genau das ist, was gerade angesagt ist.
Ja, klar. Aber genau darauf hatte ich keinen Bock. Da kamen ein paar Sachen zusammen. Wir hatten beide keine Lust mehr auf diese Industrie, also diese Gig-Ökonomie und dieses komische Marketing. In dieser Zeit nahm ja auch Social Media langsam überhand. Plötzlich war die Instagram-Seite wichtiger als die Musik, die man macht. Damit habe ich mich nicht wohlgefühlt. Ich wollte Dinge ausprobieren. Ich war musikalisch immer schon ziemlich breit gefächert und hatte sehr viele Einflüsse, auch durch das Musiksammeln. Ich bin aber einfach auch insgesamt nicht so der Bühnenmensch und fühle mich nicht so wohl, wenn mich viele Menschen anschauen. Ich suche mir immer einen Platz ganz hinten, am besten sitzend.
Zwischen »Throwback« und deinem zweiten Soloalbum »Homespun« lagen fünf Jahre. Für mich fühlte es sich wie ein Neuanfang an, aber auch wie ein sehr privates und persönliches Album.
Freut mich, dass du das sagst. Es war definitiv nicht geplant, dass es fünf Jahre dauert. Eigentlich war es ein ziemlicher Schnellschuss, ich habe vielleicht drei, vier Monate daran gearbeitet. In der Zwischenzeit hatte ich zwar keine Soloalben als Glenn Astro gemacht, aber jedes Jahr ein Album rausgebracht, sei es zum Beispiel ein Kollabo-Album mit Hulk Hodn [Hodini] oder eines unter einem anderen Namen. Ich habe das Gefühl, dass die »Homespun«-Platte nochmal poppiger war und mehr auf Songstrukturen setzte, als man es von mir kannte. Ich wollte einfach mal ausprobieren, wie weit ich in der Hinsicht gehen kann. Sowohl dem Label als auch mir selbst war bewusst, dass es kein großer Publikumsmagnet wird.
Im Pressetext stand, dass sich an der Platte entscheiden würde, ob du Musik künftig als Beruf oder nur noch als Hobby ausüben wirst...
(lacht) Das war ein dramatischer Witz, der vielleicht ein bisschen untergegangen ist. Zu dem Zeitpunkt habe ich mein Geld eh schon nicht mehr mit Plattenverkäufen oder DJ-Gigs verdient. Ich fand das Bild einfach lustig, wie ich da mit so einem Berg von Kugelschreibern im Wohnzimmer sitze, die ich zusammenschrauben muss, weil meine Platte gefloppt ist.
Ich sehe gerade hinter dir an der Wand dieses wunderschöne Foto vom ersten DJ-Shadow-Albumcover. Wie zentral ist Cratediggin’ und Vinylsammeln für dich heute noch?
Ich würde mich nicht als klassischen Katalogsammler bezeichnen. Das war ich nie und da habe ich auch keinen Bock drauf. Seit ich 12 bin, kaufe ich Platten, und das war immer wichtig, aber ich hatte nie das Bestreben, alle Katalognummern von einem bestimmten Label zu haben, sondern ich habe immer nur die Platten gekauft, die mir gefallen und die mich neugierig gemacht haben. Deswegen habe ich auch große Lücken in der Sammlung, wo ich – von außen betrachtet – vielleicht keine haben dürfte. Dafür besitze ich viele seltsame Blindkäufe. Ich habe immer noch sehr viele Hip-Hop-Platten, viel Jazz, Funk, Soul, Rock, Elektronisches, in letzter Zeit auch viel Ambient. Und ich habe neulich festgestellt, dass ich ein neues Fach für, im weitesten Sinne, Weltmusik brauche, was natürlich ein absolut blödsinniger Begriff ist.
Im Sommer hast du das »Beats Unlimited«-Album zusammen mit Doc Sleep veröffentlicht. Was waren hier die zentralen Einflüsse?
Musikalisch hat es diesen Anfang-2000er-Jahre-Vibe, aber wir sind eigentlich von einem visuellen Vibe ausgegangen und wollten den musikalisch umsetzen. Wir hatten also gar keine Musikreferenzen, sondern haben uns erstmal alte Fotos von irgendwelchen Blogs hin- und hergeschickt und uns darüber ausgetauscht: Glänzende Rosen, Plastikmöbel, das war so der Ausgangspunkt. Der Projektname ist ja auch so ein bisschen 2000er-Kitsch.
Woher kennt ihr euch eigentlich?
Sie hat vor einiger Zeit mal ein Tape, das ich mit Nauker gemacht habe, auf ihrem Label veröffentlicht. [Delta Rain Dance & Nauker, »Charakters«, Jacktone 2019] Danach sind wir in Kontakt geblieben, haben uns immer wieder Musik geschickt und hin und wieder im Studio gejammt. Für das Album haben wir vor allem mit Modularsystem und Eurorack gearbeitet, alles ging viel durch Effektketten, weg vom Computer, also klassisch Jams laufen lassen und dann zusammenschneiden, was am besten klingt – so wie Ende der 1980er, Anfang der 1990er in Detroit. Wobei das ja auch so ein bisschen die Grundidee von MIDI ist.
Mir gefällt die Musik ausgezeichnet, aber sie ist schwer zu beschreiben. Im Newsletter habe ich sie als »unmodisch« bezeichnet, aber das war nicht böse gemeint.
Nein, das finde ich gut. Es war ja tatsächlich auch ein bisschen der Anspruch, eben gerade nicht die aktuellen Trends zu bedienen. Wobei es schwierig ist, aktuell überhaupt noch von Trends zu sprechen.
Woran hast du seitdem gearbeitet? Wo ist dein Kopf musikalisch gerade?
Ich habe seit längerem eine Platte mit einem Saxofonisten fertig. Man hört aber das Saxofon eigentlich nicht heraus, denn es ist extrem mit Pitchshifting verfremdet. Es hat einen starken Jon-Hassell-Einfluss, bisschen New Wave, Ambient, Electronica, alles gemischt. Wahrscheinlich kommt es auf Termina raus, wenn Max auch Bock drauf hat. Ich mache auch gerade wieder ein Album mit Hodini. Das ist fast fertig, ein klassisches Feature-Album, mit Gesangs- und Rap-Features. Da schließt sich der Kreis wieder.
Bist du heute weniger bereit, Kompromisse einzugehen als früher?
Ja, seit dem Entschluss, in dieser Industrie nicht mehr mitzuspielen. Das war der Punkt, an dem ich mich plötzlich freier gefühlt habe. Was seltsam ist, weil mir ja auch vorher niemand gesagt hat, was ich tun und lassen soll. Aber als ich beschlossen habe, mir einen Job zu suchen – das hat wirklich viel verändert. Ich wollte das auch. An einem bestimmten Punkt fühlte ich mich musikalisch festgefahren und hatte kreative Blockaden. Ich musste ein bisschen Abstand von mir selbst gewinnen und dieses Glenn-Astro-Ding auch mal vergessen, um andere Dinge zu verfolgen.
Natürlich ergibt sich eine gewisse Freiheit daraus, wenn man nicht (mehr) darauf angewiesen ist, mit Musik Geld zu verdienen.
Was nicht heißen soll, dass ich das verurteile. Ich finde es auch völlig legitim, wenn man sagt: Ich gebe den Leuten jetzt einfach, was sie wollen, aber dafür kommt halt die Knete rein. Warum sich freiwillig in ein Büro setzen, wo man im Monat das bekommt, was man früher für einen einzigen Gig bekommen hat? Damit muss man sich ja auch erstmal abfinden. Aber für die Gesundheit ist es definitiv die bessere Wahl.
Danke fürs Lesen!
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© 2021 Stephan Kunze