Zen Sounds 031: »I'm Aristotle's playdough, Plato, Socrates«
Warum der New Yorker Rapper Ka einer der wichtigsten Hip-Hop-Künstler der letzten Dekade ist
Ziemlich genau elf Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal ein Video von Kaseem »Ka« Ryan sah. Der Song hieß »Cold Facts« und konvertierte mich binnen drei Minuten zum Fan.
Es war eine Zeit des Umbruchs. Die Soundästhetik des Trap hatte den Hip-Hop-Mainstream übernommen, in Chicago entwickelte sich die erste Drill-Welle, und Drake war gerade dabei, zum erfolgreichsten Rapper der Welt zu werden.
Gleichzeitig entwickelten Rapper wie Roc Marciano und Ka einen Hip-Hop-Stil, der auf sample-basierte Kompositionen zurückgriff, dabei aber neue, kreative Wege einschlug: Auf psychedelischen Loops ohne (zusätzliche, programmierte) Drums berichteten sie kunstfertig von den Fallstricken des Straßenlebens. Hörer*innen wie mir, die mit US-Rap der 1990er-Jahre aufgewachsen waren, signalisierte diese Musik stilistische Kontinuität. Gleichzeitig knüpfte sie an eine Schule von abstraktem, experimentierfreudigem Hip-Hop an, die Mitte der 2000er eingeschlafen war.
Als »Cold Facts« erschien, war Ka schon fast zwei Dekaden im New Yorker Untergrund aktiv. Doch sein zweites Soloalbum »Grief Pedigree« (2012) schlug ein neues Kapitel in seiner bis dahin eher glücklosen Karriere auf. Das Album veröffentlichte er nur, weil seine Frau Mimi [Valdés, Filmproduzentin und ehemalige Chefredakteurin des Vibe-Magazins] ihn dazu überredet hatte. Und während andere mit 30 ihre Rap-Karriere an den Nagel hängen, bekam Ka mit 40 die erste, leise Anerkennung für seine Arbeit. Man kann sagen, dass »Grief Pedigree« zusammen mit Roc Marcianos »Reloaded« den alternativen Hip-Hop revitalisierte.
In den letzten zehn Jahren baute Ka einen enormen Katalog auf: Zehn Alben, fast jedes mit einem literarischen Konzept versehen, darunter komplette Kollabo-Alben mit den Produzenten Animoss (als »The Hermit and the Recluse«) und DJ Preservation (als »Dr. Yen Lo«). Musikalische Inspiration findet er auf alten Jazz- und Blues-Platten, während Texte und Songtitel auf so unterschiedliche Referenzen wie den Polit-Thriller »The Manchurian Candidate«, das Alte Testament oder den Bushidō-Kodex aus dem japanischen Mittelalter verweisen.
Ka schwamm stets gegen den Strom. Seine Musik erscheint meist mit Verzögerung auf den großen Streaming-Plattformen; wer sie vorher hören will, muss sie auf seiner Website kaufen. Die Platten verschickte er vor einigen Jahren noch direkt aus seiner Wohnung. Bis heute nutzt er die sozialen Medien nur sporadisch. Statt extravaganter Streetwear trägt er einfache weiße T-Shirts, graue Hoodies und niemals Schmuck. Seine DIY-Videos in s/w-Optik spiegeln den Minimalismus seiner Musik: Ka-Songs bestehen in aller Regel nur aus einem düsteren Loop und seiner rauen Stimme.
Gerade erst sind zwei neue Alben erschienen: »Languish Arts« und »Woeful Studies«, beide weitgehend selbst produziert, Ausnahmen liefern mal wieder Animoss und DJ Preservation. Hier reduziert Ka den mittlerweile recht verbreiteten »drumless loop«-Stil noch weiter und etabliert dabei so etwas wie sein eigenes Subgenre: »Ambient Rap« könnte man das nennen, was der inzwischen 50-Jährige auf den 20 neuen Tracks präsentiert. Mit hypnotischen Samples kreiert Ka eine Klanglandschaft, deren Stimmung er in den Texten zum Leben erweckt. Kurze Schnipsel alter Platten verwendet er wie ein Maler seine Farben.
Mit seiner düsteren Straßenpoesie hat Ka längst eine junge Generation von Rapper*innen beeinflusst: Earl Sweatshirt oder Sage »Navy Blue« Elsesser flüstern sich seinen Namen seit Jahren ehrfürchtig zu, letzterer tauchte sogar schon als Gast auf einem Ka-Album auf. Auf den neuen Alben findet man Chuck Strangers, der früher zur New Yorker Underground-Crew Pro Era gehörte, als einziges rappendes Feature. Dem Vernehmen nach macht Ka nur Musik mit Menschen, die er über sein Netzwerk persönlich kennenlernt, und Strangers lebte zeitweilig mit Animoss in einer Wohngemeinschaft in Los Angeles. Zuletzt arbeitete Ka mehrfach mit der Sängerin Joi Gilliam aus Atlanta zusammen, die in den 1990er-Jahren auf klassischen Alben von Goodie Mob und Outkast zu hören war.
Die Karriere von Kaseem Ryan ist sicher kein kopierwürdiges Erfolgsmodell für junge, ambitionierte Künstler*innen. Von seiner Musik leben kann er bis heute nicht, aber in seiner Nische hat er sich ein treues Publikum erspielt, das jede seiner Veröffentlichungen sehnlichst erwartet. Dafür muss er weder einen TikTok-Account pflegen noch sich regelmäßig in Flugzeuge setzen, um irgendwo auf der Welt Konzerte zu spielen. Stattdessen lebt er ein zurückgezogenes Leben als Feuerwehrmann in Brooklyn, und ungefähr einmal im Jahr entlässt er ein musikalisches Lebenszeichen in die Welt. Produktion, Videoschnitt und Covergestaltung übernimmt er meist selbst – der Kosten wegen, aber auch um die volle Kontrolle über seine Außendarstellung zu behalten.
Ka umgibt ein Mythos der Unnahbarkeit, der in der Musikwelt durch die sozialen Medien weitgehend verloren gegangen ist. Beim Hören seiner Musik stelle ich mir vor, wie der weise, gealterte Ex-Drogendealer durch jene Straßen flaniert, die einst die Frontlinien seines Krieges markierten, wie Forest Whitaker in »Ghost Dog«. Seine therapeutischen Geschichten spielen in einem prä-gentrifizierten Brooklyn, in einer längst vergangenen Zeit, deren Narben und Verletzungen ihn bis heute in Albträumen heimsuchen. Sein verschachtelter Reimstil und seine lakonische Vortragsweise erinnern dabei mehr an Spoken-Word-Poetry als an zeitgenössische Rapmusik.
Ka ist so etwas wie ein rappender Zen-Mönch, der früher mal bei den Yakuza war. Er berichtet von den Widrigkeiten eines Lebens unterhalb der Armutsgrenze, von Marginalisierung und Ausgrenzung, von einem System, das Glück und Erfolg für Menschen wie ihn nicht vorsieht. Er erzählt von der Kehrseite des amerikanischen Traums, von Schuld und Sühne, von Verlust und Depression. Doch neben all der Frustration, der Wut und der Trauer finden wir auch eine versöhnliche Spur der Akzeptanz in seinem Werk. Seine Kunst ermöglicht Ka die Verarbeitung und Überwindung tiefer Traumata. Seine Inhalte speisen sich aus einer Existenz voller Entbehrungen.
»Languish Arts« und »Woeful Studies«, das neunte und das zehnte Album von Ka, sind im September erschienen und derzeit nur über seine Website brownsvilleka.com erhältlich.
Bonus Beats
Für alle, die tiefer in das Thema einsteigen wollen: 2015 führte mein Kollege Julian Brimmers ein detailliertes Q&A mit Ka für den Blog Passion Of The Weiss. (Randnotiz: Ja, der Chefredakteur eines deutschen Hip-Hop-Magazins, der eine Promo-CD von »Grief Pedigree« per E-Mail angefragt hat, war ich.) Und 2016 wurde Ka von Jeff »Chairman« Mao ausführlich interviewt. Seitdem hat Ka meines Wissens keine Interviews mehr gegeben.
© 2022 Stephan Kunze