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Zen Sounds 018: Interview mit Fat Jon alias Maurice Galactica

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Zen Sounds 018: Interview mit Fat Jon alias Maurice Galactica

Ein Gespräch über die alternative Hip-Hop-Szene der 2000er-Jahre, Anime-Soundtracks und die transaktionale Kommunikation von Nordamerikaner*innen

Stephan Kunze
Apr 2, 2022
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Zen Sounds 018: Interview mit Fat Jon alias Maurice Galactica

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Auf einer Vernissage von Jan »Kabuki« Hennig in Frankfurt traf ich vor einigen Jahren zufällig Fat Jon. Der Rapper und Produzent aus Cincinatti war eine zentrale Figur des alternativen Hip-Hop-Underground der 2000er-Jahre, vor allem mit seiner damaligen Crew Five Deez; mit seinen Solowerken – unter den Namen Fat Jon und Maurice Galactica – gehört er zudem zu den Pionieren des instrumentalen Hip-Hop. Im Gespräch erfuhr ich, dass er schon lange in Deutschland lebt, und zwar ausgerechnet in der Nähe von Frankfurt. Wir unterhielten uns über Musik, Familie und Heimat. Es fühlte sich schnell an, als würden wir uns schon ewig kennen.

Soeben ist nach zehn Jahren Pause ein neues Maurice-Galactica-Album namens »Plaything: Cipher« beim deutschen Untergrund-Label Sichtexot erschienen. Den Kontakt zu Sichtexot-Mitgründer und Betreiber Anton Pfurtscheller hatte einmal mehr Kabuki hergestellt. »Plaything: Cipher« ist ein sphärisches, verspieltes, melancholisches Instrumental-Album, raffiniert durchkomponiert und getragen von trockenen Hip-Hop-Drums. Zu zeitgenössischen Lo-Fi Beats verhält es sich wie ein Nujabes-Album zur »Jazz Vibes«-Playlist. Vor allem jedoch wird es mir auch nach Wochen der Dauerrotation nicht langweilig.


Fat Jon © Anton Pfurtscheller

Ich freue mich sehr, dass die Verbindung zu Sichtexot nun tatsächlich in die Veröffentlichung eines neuen Maurice-Galactica-Albums gemündet ist.

Weißt du, ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, die meine Musik wirklich verstehen. Aber Anton [Pfurtscheller von Sichtexot, Anm. d. Verf] gehört dazu. Er mag zum Beispiel bestimmte Songs von mir, die definitiv nicht zu den populären Songs gehören. Er hat einfach einen echten Sinn für meine Musik. Ich bin stolz darauf, dass er mein Album veröffentlicht. Ich habe es sogar meinem Vater erzählt! (lacht)

Deine experimentellen Arbeiten bewegen sich oft an der Schnittstelle von Hip-Hop und elektronischer Musik. Ist dieser Drang zum Experiment deiner musikalischen Sozialisation geschuldet?

Ich weiß, dass es klischeehaft klingt, aber ich bin ein Musikliebhaber. Ich habe nie strikt in Genres gedacht und fühlte mich schon, seit ich klein war, stets zu den Platten hingezogen, die eher zwischen den Stühlen standen, also zu Fusionen aller Art. Ich konnte das als Teenager noch nicht so artikulieren, aber später wurde mir klar, dass ich es immer besonders interessant fand, wenn musikalische Einflüsse gemischt wurden. Als ich später damit begann zu schreiben, habe ich gespürt, dass dies auch die Musik war, zu der ich rappen wollte. Und als ich elektronische Musiker*innen kennenlernte, stellte ich fest, dass sie eigentlich dasselbe taten wie wir Hip-Hop-Produzent*innen. Wir alle kreieren elektronische Musik. Wir nennen es halt Hip-Hop, und elektronische Musiker*innen… nun, sie nennen es anders.

Gab es in Cincinatti in den 1990er Jahren eine Underground-Rap-Szene? Neben Five Deez fallen mir noch Mood ein, die auch von dort waren.

Es gab durchaus eine Szene. Man kannte sich, Cincinatti ist keine so große Stadt. Es gab verschiedene Ebenen innerhalb dieser Szene – wie so oft, gab es viele Leute, die Musik eher als Hobby gesehen haben, und es gab einen harten Kern von Künstler*innen, die es wirklich schaffen wollten: Dazu gehörten Mood und Five Deez. Wir hingen in denselben Studios herum, haben oft Shows zusammen gespielt und Tapes miteinander aufgenommen. Als Mood ihren ersten Plattenvertrag bekamen, trommelten sie alle anderen Rap-Gruppen zusammen, die es ernst meinten – daraus entstand WannaBattle, ein Kollektiv, ähnlich wie Hieroglyphics oder Native Tongues. Und zu dieser Zeit, wir reden jetzt von den späten 1990er Jahren, fing auch meine »Parallelkarriere« im Instrumental Hip-Hop an.

Es hatte da schon instrumentalen Hip-Hop gegeben, allen voran DJ Shadow in der Bay Area und DJ Krush in Japan, aber auch das ganze Mo’ Wax- und Ninja Tune-Zeug aus England. Hat dich diese Musik beeinflusst?

Ich war informiert darüber, dass es diese Künstler gab und fand sie auch dope. Ich mag ihre Musik wirklich sehr. Aber sie haben mich nicht dazu inspiriert, instrumentalen Hip-Hop zu produzieren. Was mich inspiriert hat, war vielmehr die Erkenntnis, dass meine Musik nichts für jeden ist. Damals hat man als Hip-Hop-Produzent seine Beats ja an die Rapper »geshoppt«. Die Rückmeldungen, die ich bekam, waren oft von der Art: »Ich mag deine Beats, aber ich höre sie mir lieber an, als darüber zu rappen.« Oder: »Ich mag die Musik, aber da passiert schon so viel!« Immerhin mochten die meisten meine Musik, so dass ich dachte, es müsse dafür doch ein Publikum geben. Also habe ich sie ganz einfach instrumental veröffentlicht. Ich wollte sehen, ob die Leute sich das wirklich anhören. So entstand »Wave Motion«, mein allererstes Instrumental-Album, das 2001 erschien.

2002 folgte schon das erste Maurice-Galactica-Album »Humanoid Erotica«. Warum war es notwendig, dieses Material unter einem anderen Künstler-Alias zu veröffentlichen und es von deinem Output als Fat Jon zu trennen?

Einfach nur aus Spaß. Der Name klingt cool und auch ein bisschen dumm. Das gefiel mir. (lacht) Aber er gab mir auch eine Entschuldigung, die Dinge etwas anders anzugehen. Weißt du, ich hatte damals so viel Musik, die ich gern veröffentlichen wollte. Als ich mich entschieden hatte, diese Instrumental-Sache weiter zu verfolgen, weil ich als Fat Jon eine bestimmte Nische für mich entdeckt hatte, sah ich plötzlich noch weitere Nischen, die auch möglich schienen. Maurice Galactica ist eine weitere dieser Nischen, ausgehend von dem Fat-Jon-Ding. Für mich ist es klar, was eine Fat-Jon-Platte ausmacht und was eher zu einem Maurice-Galactica-Projekt passt. Aber es ist schwer in Worte zu fassen.

Fat Jon © Anton Pfurtscheller

In meiner Erinnerung herrschte in den früher 2000er-Jahren eine offene Einstellung zwischen den Subkulturen: Hip-Hop und elektronische Musik waren nicht mehr so streng voneinander getrennt wie noch in den 1990er-Jahren.

Ja, vorher war es sehr segmentiert. Underground Hip-Hop war an sich auch eine klar abgegrenzte Szene. Wir gehörten dazu, Five Deez waren Underground. Aber wir waren trotzdem anders als der Rest. Das gefiel mir. Wir wollten einfach nichts machen, was genau so klang wie etwas, was es schon gab. Damals gab es einen kreativen Freiraum, genau das zu tun. Niemand hat von uns irgendetwas erwartet. Obwohl sie uns in diese Underground-Schublade gepackt hatten, konnten wir alles mögliche machen. Aus kreativer Sichtweise war es eine sehr positive Zeit.

Es hatte erste Welle des alternativen Indie-Hip-Hop gegeben, vor allem im New York der mittleren und späten 1990er-Jahre, zu der Labels wie Rawkus und Fondle Em zählten. Ihr wart Teil einer zweiten Welle, die in Europa stärker wahrgenommen wurde als in den USA. Gruppen wie Five Deez oder Lone Catalysts waren sogar bei deutschen Labels unter Vertrag. Wie kam das eigentlich?

Das lag an Groove Attack [Kölner Label und Vertrieb, Anm. d. Verf.]. Vor allem die »Superrappin’«-Compilation und die »Superrappin’«-Tour. Auf dieser Tour spielten wir in ganz Europa. Die Connections, die sich auf dieser Tour ergaben, prägten unsere Beziehungen für die nächsten Jahre. Es fühlte sich damals wirklich wie eine Bewegung an, die von Groove Attack angeführt wurde. Sie hatten eine Vision davon, welche Art von amerikanischem Hip-Hop im europäischen Markt funktionieren könnte. Und sie haben diese Vision gepusht. Das hat unsere Musik zu vielen Menschen gebracht, die sie sonst vielleicht nie gehört hätten. Das europäische Publikum hatte einfach einen anderen Zugang zu dieser Musik.

Wann bist du nach Deutschland gezogen?

2002, nachdem ich auf Tour eine junge Dame kennengelernt hatte. (lacht) Weißt du, ich kann überall Beats machen. Dafür muss ich nicht in Cincinatti oder in den USA leben. Also zog ich nach Berlin. Dort gab es viele Möglichkeiten für mich. Ich arbeitete mit dem elektronischen Musiker Styrofoam zusammen und wir hatten einen Plattenvertrag bei dem Berliner Label Morr Music. Außerdem arbeiteten wir ja bereits mit Groove Attack. Kurz nachdem ich nach Berlin gezogen war, lernte ich einen A&R von !K7 Records kennen, wo wir als Five Deez einen Deal unterschrieben. Weil all diese Sachen auf einmal passierten, dachte ich, es wäre sinnvoll, dauerhaft in Deutschland zu leben. Es fühlte sich so an, als sollte es so sein. Ich hatte ja auf all diese Entwicklungen hingearbeitet und mich darauf vorbereitet. Ich war also bereit. Und die Entscheidung herzuziehen hat sich auch als richtig herausgestellt.

Ganz offensichtlich, denn du lebst immer noch hier.

Ja, im Mai sind es 20 Jahre.

Hast du je damit gerechnet, dass du so lange hier leben würdest?

Nein. Niemals. (lacht) Ich hatte es nicht einmal in Erwägung gezogen. Sogar jetzt fühlt es sich nicht so an, als ob es wirklich schon so lange her wäre. Manchmal denke ich, dass ich den Ablauf von Zeit anders prozessiere als die meisten Menschen. Ich realisiere oft gar nicht, wie lange bestimmte Ereignisse schon her sind. Nur in Momenten wie jetzt, in einem Interview, muss ich nachrechnen, und dann fällt es mir auf. Weißt du, ich hatte in der Schule die Option, eine Fremdsprache zu lernen – und habe mich für Spanisch entschieden, weil ich davon ausging, dass ich diese Sprache in den USA am Ehesten brauchen würde. Und nun lebe ich schon so lange in Deutschland. (lacht) Also nein, daran habe ich nie gedacht.

Fühlst du dich hier manchmal noch fremd?

Ja, natürlich bin ich immer noch ein Fremder, und das ist mir auch bewusst. Aber, und das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, ich fühle mich hier nicht viel fremder als in den USA. Dort war ich nämlich ebenfalls ein Außenseiter. Von daher macht es gar nicht so einen großen Unterschied. Ich muss sagen, dass ich sehr gerne hier lebe. Es klingt wie ein Klischee, aber jeder Tag fühlt sich wie ein kleines Abenteuer an. (lacht) Es ist nun mal so, dass wir kulturell viele Gemeinsamkeiten haben, es aber auch große Unterschiede gibt. Manchmal sind die Ähnlichkeiten so groß, dass man vergisst, dass es komplett verschiedene Kulturen sind. Ich würde sagen, es ist eine wirklich interessante Reise.

Kannst du ein Beispiel nennen, wo dir die kulturellen Unterschiede zwischen Amerikaner*innen und Europäer*innen im Alltag deutlich auffallen?

Dazu muss ich einen Disclaimer vorabschicken: Ich bin kein normaler Amerikaner. Normale Amerikaner stehen auf Sport, Football, das ganze Zeug. Ich nicht. In Deutschland stehen viele auf Fußball, es ist Teil der deutschen Kultur. Ich habe aber, wie gesagt, keinerlei Sinn dafür. Es war in den Staaten schon genau so, dass ich diese Liebe und den Respekt für den Sport und ihre Mannschaften nicht nachvollziehen konnte. Manchmal fühlt es ehrlich gesagt so an, als würde ich Aliens zuschauen – ob es nun die Amerikaner sind, die wegen Basketball durchdrehen, oder die Deutschen, die ihren Fußball lieben. Ich verstehe es einfach nicht.

Würdest du zustimmen, dass es auch auf der kommunikativen Ebene große Unterschiede gibt?

Ja, natürlich. Wir Amerikaner sind sehr kapitalistisch orientiert, auch in unseren sozialen Beziehungen. Unsere Kultur ist es, Dinge zu kaufen und zu verkaufen. Das beeinflusst auch, wie wir miteinander umgehen. Bei uns haben viele Interaktionen einen transaktionalen Charakter. In Europa werden diese Interaktionen oft als »falsche Freundlichkeit« bewertet. Amerikaner*innen haben kein Problem damit, Fremde anzusprechen: »Hey, how you’re doing, bla bla bla.« Deutsche tun das nicht. Warum auch? Es gehört nicht zur deutschen Kultur. In den Staaten verkaufen wir aber ständig irgendwas, auch uns selbst. Diese Oberflächlichkeiten dienen nur dem Zweck zu signalisieren, dass man uns vertrauen kann. Ich habe hier schon oft genug versucht, im Alltag ein Gespräch mit fremden Menschen anzufangen. Ich brauchte einige Anläufe um zu verstehen, dass das sehr unüblich ist. Die Leute mögen es nicht. Sie werden skeptisch und sehen dich als zwielichtige Figur. (lacht) Sie denken: »Warum quatscht der Typ mich an? Warum lächelt er so? Was will der von mir?« (lacht) Ich glaube, am Anfang habe ich einige Menschen ganz schön beunruhigt mit meiner Art. Natürlich habe ich daraus gelernt. Ich schätze und respektiere diese kulturellen Unterschiede.

Ich finde es interessant, was du über Mainstream-Kultur gesagt hast, die in vielen Teilen der Welt durch Globalisierung und Digitalisierung gleichgeschaltet ist. Aber wenn du kein Top-40-Radio hörst, sondern seltsame Platten aus den 1970er Jahren, dann bist du hier wie dort ein Außenseiter. Und gleichzeitig verbinden uns diese abseitigen Interessen über alle kulturellen Unterschiede hinweg.

Richtig. Ich frage mich schon lange, was das wohl über uns aussagt. Wir sind aus unterschiedlichen Teilen der Welt, interessieren uns aber für dieselben Sachen – was ist es also genau an uns und an diesen Sachen, das uns daran begeistert? Wir antworten dann gern: Musik ist eine universelle Sprache. Aber ich frage mich, ob es vielleicht sogar unterschiedliche Arten von Persönlichkeiten gibt, die unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Kulturen diese gemeinsamen Vorlieben entwickeln, weil sie sich auf einer anderen Ebene ähnlich sind. Das ist eine Lebensfrage für mich, die ich mir schon sehr lange stelle.

Sie ähnelt einer meiner Lebensfragen: Warum interessierte ich mich als weißes Mittelklasse-Kind in einem norddeutschen Dorf für Public Enemy? Die Lebensrealität von African-Americans, über die Public Enemy rappten, war mir unbekannt. Ich habe keine Marginalisierung erfahren und die Texte auch gar nicht verstanden. Aber diese Musik resonierte mit mir – so sehr, dass sie den weiteren Verlauf meines Lebens verändert und bis heute geprägt hat, in einem Maße, dass ich sie für einen Teil meiner Identität halte.

Ich glaube, da kommen wir zur nicht greifbaren Qualität der »Energie« von Musik. Da ist eine Energie, die mit dir in deinem tiefsten Inneren resoniert. Es ist etwas, was man mit Worten nicht erklären kann.

It’s a spiritual thing.

Yeah.

Fat Jon © Anton Pfurtscheller

Du warst Mitte der nuller Jahre Teil des Produktionsteams für den Soundtrack zum Anime-Klassiker »Samurai Champloo«, neben Nujabes, Force Of Nature und Shinji »Tsutchie« Tsuchida von Shakkazombie. Wie kam es dazu?

Wir hatten als Five Deez einen Deal mit einem lokalen Label, das unsere Alben in Japan veröffentlichte. Dort fragte der Regisseur von »Samurai Champloo« [Shinichirō Watanabe, Anm. d. Verf.] per E-Mail an, ob ich Interesse hätte, an dem Soundtrack zu arbeiten. Er liebte wohl meine Musik. Nujabes und Force Of Nature waren übrigens auf demselben Label. Ich bin total ausgeflippt! Was niemand wusste – ich war nicht nur ein Hip-Hop-Head, sondern auch ein absoluter Anime-Head. Als ich später auf Tour in Japan war, konnte ich ihn treffen und ihm persönlich sagen, dass ich ein großer Fan seiner Arbeit bin. Später war ich auch mal in dem Animationsstudio, wo »Samurai Champloo« entstanden ist. Es gab eigentlich keinen Anlass für diesen Besuch. Ich wollte es einfach nur sehen, als Fan. Es war wie ein wilder Traum, an diesem Soundtrack zu arbeiten. Das ist ein wirklich dopes Anime.

Wie würdest du deine Beziehung zu Nujabes beschreiben?

He was my boy. Er war mit allen von Five Deez befreundet. Jedes Mal, wenn wir in Japan waren, hingen wir mit ihm herum. Ich rief ihn auch sonst öfter mal an, und wir schickten uns gegenseitig Musik per E-Mail. Wenn ich jetzt, wo er nicht mehr da ist, in Japan bin, dann ist es einfach anders. [Nujabes kam 2010 bei einem Autounfall um, Anm. d. Verf.] Er war so ein wichtiger Teil meiner Erfahrung dieses Landes.

Du hattest Ende der 2000er-Jahre eine umtriebige Phase mit vielen Projekten, Kollaborationen und Veröffentlichungen. In den 2010er-Jahren wurde es etwas ruhiger in deiner Diskografie. Musstest du dich kreativ regenerieren?

Nein, eigentlich ging es nur ums Geschäft, das sich veränderte. Ich wollte einfach wieder ein bisschen Wertschätzung für die Musik erfahren, und deshalb habe ich größere Lücken zwischen den Veröffentlichungen gelassen. Vor allem wollte ich keine Platten veröffentlichen, ohne Geld damit zu verdienen. Ich musste einen Weg finden, um mich mit dem Geschäft zu entwickeln, aber immer noch ich selbst zu bleiben. Ich wollte einfach vieles nicht tun, das andere Künstler*innen tun, um relevant zu bleiben. Vielleicht könnte ich es – aber ich will es nicht, einfach aus Prinzip. So bin ich nun mal. Ich bin sehr selektiv geworden.

Ist das auch der Grund, warum du in den sozialen Medien nicht aktiv bist?

Um es einfach zu sagen, fühlt es sich nicht natürlich für mich an. Ich bin sehr introvertiert, also fühlten sich meine wenigen Versuche in den sozialen Medien sehr erzwungen an. Anstatt herauszufinden, warum das so ist und einen Weg zu finden, damit umzugehen, habe ich mich entschlossen, diese Energie lieber in die Musik zu stecken. Ich glaube auch, dass meine Musik viel interessanter ist, deshalb lasse ich sie gern für sich selbst sprechen. Die einzige Social-Media-Plattform, auf der ich halbwegs aktiv bin, ist Soundcloud, und das nur, weil sie musikbasiert ist.

In welchem Zeitraum ist die Musik entstanden, die jetzt auf dem neuen Maurice-Galactica-Album für Sichtexot gelandet ist?

Sagen wir so: Es ist Musik, an der ich in jüngerer Zeit gearbeitet habe. Sie ist also ziemlich aktuell. Genauer möchte ich es nicht eingrenzen. Jedenfalls ist es Musik, die für mich sehr gut zusammen passt. Ich habe einige Zeit gebraucht, um bestimmte Entscheidungen zu fällen. Jetzt habe ich aber das Gefühl, ein richtiges Album fertig gestellt zu haben.

Heute sagt man ja zu Instrumental-Hip-Hop eher Lo-Fi Beats. Auch wenn das ursprünglich mal so etwas wie ein Subgenre war, wird es inzwischen gefühlt als loser Oberbegriff genutzt. Verfolgst du diese Szene?

Ich weiß darüber Bescheid und höre auch vieles. Diese Szene ist eine Evolution von etwas, wovon ich ein Teil bin – etwas, das ich liebe. Aber ich verfolge sie nicht so bewusst. Ich mag meine Musik einfach lieber, wenn ich in meiner eigenen Blase bleibe. Sonst kommen zu viele unbewusste Einflüsse zum Vorschein. Gleichzeitig kann ich meinen Kopf nicht komplett in den Sand stecken, so dass ich natürlich bestimmte Sachen mitbekomme.

Gestern habe ich mit Kabuki darüber gesprochen, was deinen charakteristischen Stil ausmacht. Wir haben die Dualität zwischen den wuchtigen, treibenden Drums und den ruhigen, melancholischen Melodien und Harmonien ausgemacht. Kannst du damit etwas anfangen?

Ja. Für mich müssen die Beats einen Groove haben, ein bestimmtes Momentum. Typischerweise mache ich keine fröhliche Musik, aber die Drums müssen immer noch Hip-Hop sein, man müsste vielleicht sogar dazu tanzen können. (lacht) Du hast recht, es gibt da eine Dualität. Die Elemente müssen auf eine bestimmte Weise miteinander verschmelzen. Das ist der ganze Spaß daran. Es ist eine Gleichung, die aus den Emotionen, dem Groove und der Mathematik der Drums besteht. Sie sind so etwas wie das interne Metronom. Es ist schwer zu erklären. Aber ich bin froh, dass ihr es heraushört. Vor allem bin ich froh, dass ihr einen Fat-Jon-Beat erkennt. Ich komme aus der Ära, in der das oberste Ziel war, originell zu sein. Ich wollte nie der Beste in irgendetwas sein, sondern einfach nur etwas eigenes erschaffen und etwas anderes machen als der Rest.

Was sind neben »Plaything: Cipher« aktuelle Projekte von dir, auf die du meine Abonnent*innen hinweisen möchtest?

Ich habe in den letzten Jahren zwei Soundtracks für ein Manga-Comic-Book gemacht: »Teflon Funk: The Free Tape« (2018) und »Teflon Funk: The Dope Tape« (2020). Außerdem habe ich viele meiner älteren Platten re-released: »Wave Motion« zum Beispiel, aber auch das zweite Maurice-Galactica-Album »Rapture Kontrolle«. Außerdem vergessen die Leute oft, dass ich auch noch rappe. Über die letzten Jahre habe ich sehr viele Features aufgenommen, außerdem gibt es das »God’s Fifth Wish«-Album, das dritte Rebel Clique-Album »Broken Silence« und noch viel mehr. Vor allem jedoch war es eine sehr gute Erfahrung, mit Sichtexot an der Veröffentlichung von »Plaything: Cipher« zu arbeiten. Ich denke, aus dieser Zusammenarbeit wird noch mehr entstehen. Ich bin als Künstler immer noch auf einer Reise und habe mein Ziel noch lange nicht erreicht.


© Anton Pfurtscheller

»Plaything: Cipher« von Fat Jon as Maurice Galactica jetzt bei Spotify hören oder auf Vinyl kaufen.


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