Zen Sounds 008: Interview mit Martin Brugger
Ein Gespräch über die Entstehung seiner Band Fazer, sein erstes Soloalbum »Music For Video Stores« und die Arbeit als Produzent für Künstler*innen wie die mongolische Sängerin Enji
Ich habe Martin Brugger vor einigen Jahren kennengelernt. Damals hatte er gerade sein erstes Produzenten-Alias Occupanther abgelegt, um sich voll und ganz seiner Arbeit mit der progressiven Münchner Jazz-Band Fazer zu widmen. Nach zwei überaus erfolgreichen und positiv rezipierten Alben veröffentlicht das Quartett mit der ungewöhnlichen Besetzung – Fazer haben zwei Drummer – nun sein drittes Album »Plex«. Ausnahmsweise nicht über das Squama-Label, das Martin zusammen mit dem Designer und Illustratoren Max Schachtner betreibt, sondern über das renommierte Indie-Label City Slang.
Mit Squama hat Martin neben seiner Tätigkeit als Bassist und Quasi-Manager von Fazer ein geschmackssicheres Indie-Label aufgebaut, über das zahlreiche Soloprojekte der Fazer-Mitglieder veröffentlicht wurden. Musikalisch bewegt sich das Label zwischen zeitgenössischem Jazz und experimenteller Musik. Daneben arbeitet Martin als Produzent für andere Künstler*innen, aber auch als Auftragskomponist für Film und Fernsehen. Über all diese Projekte haben wir gesprochen, als wir uns im Dezember 2021 in Berlin-Mitte zum Interview trafen.
Was sind deine ersten musikalischen Erinnerungen?
(denkt lange nach) Ich erinnere mich daran, wie ich mit meinem Bruder eingeschult wurde und unsere Eltern meinten, dass es gut wäre, wenn wir auch ein Instrument lernen würden. Da gab es ein Gespräch am Küchentisch, wo die Optionen waren: Willst du Saxophon spielen, Gitarre oder Geige? Ich habe mich für die Gitarre entschieden. An die Zeit davor habe ich keine bewussten musikalischen Erinnerungen.
Das hört sich an, als wärst du in einem musikalischen Haushalt aufgewachsen.
Nicht wirklich, eigentlich gar nicht. Meine Mutter hat ein bisschen Flöte gespielt, mein Vater hat sich später an der Mundharmonika und am Alphorn versucht, aber das waren auch eher kurzlebige Unterfangen. Musikalisch ist die Familie an sich nicht, aber es wurde Wert darauf gelegt und wir wurden auch immer unterstützt.
Lief denn zu Hause Musik?
Ja, aber meine Eltern waren keine aktiven Musikhörer. Bei ihnen gab es, wie bei so vielen Menschen, irgendwann wohl den Punkt, wo sie aufgehört haben, aktiv nach neuer Musik zu suchen.
Die anderen machen einen Beruf daraus.
(lacht) Stimmt wirklich. Ich kann jedenfalls nicht sagen, dass ich von zu Hause in irgendeine Richtung musikalisch geprägt wurde. Das kam erst in meinen frühen Teenagerjahren und durch den Freundeskreis, mit dem ich abgehangen bin. Ich habe halt mit 12 schon angefangen, in Bands zu spielen, und kam dann auf so einen Postrock- und Indie-Trip. Wir haben Bands wie Mogwai, Broken Social Scene und Modest Mouse gefeiert. Das war auch die erste Phase, die mich langfristig beeinflusst hat. Das war noch die Napster-Zeit, in der man USB-Sticks oder auch mal eine Festplatte mit 3 GB Musik weitergereicht hat.
Bist du dann auch ins Atomic Café gegangen, wo sich diese Szene in München getroffen hat?
Atomic war ein bisschen später bei mir, da war ich schon so 19, 20. Aber da war ich am Start, auf jeden Fall. (lacht)
Und wann kam Jazz in dein Leben?
Im Gymnasium habe ich ab der 6. Klasse in der Schul-Big-Band gespielt, bin aber noch nicht so tief eingestiegen, was Jazz als Genre angeht. Mit 17 habe ich dann die Aufnahmeprüfung an der Hochschule gemacht für ein Jungstudium, da war ich aber extrem schlecht vorbereitet und bin durchgefallen. Also hab ich erstmal Abitur und Zivildienst gemacht, zwei Semester Kommunikationswissenschaften studiert und dann mit 21 nochmal die Aufnahmeprüfung gemacht. Ich wollte einfach Musik machen und war ein bisschen abgeturnt von dem Studium davor. Weil ich aber in München bleiben wollte und es so etwas wie die Pop-Akademie in Mannheim dort nicht gibt, habe ich mich für die Hochschule entschieden. Und diesmal hat es geklappt.
Musstest du dann alles nachholen, was die anderen schon inhaliert hatten?
In einem gewissen Rahmen, ja. Ich habe zusammen mit Simon [Popp, Drummer von Fazer] angefangen und man hat schon gemerkt, dass wir beide anders musikalisch sozialisiert waren als die meisten anderen Studierenden. Aber das kann ja in manchen Fällen auch ein Vorteil sein.
Coltrane-Quartettbesetzungen konntet ihr aber noch nicht aufsagen.
Nein, nein. Das kam wirklich erst während des Studiums.
Also hast du Jazz-Bass studiert…
… (unterbricht) Jazz-E-Bass. Das ist schon ein Unterschied. Als E-Bassist muss man auch einiges aushalten. Es gab Dozenten, die gefragt haben, ob es auch jemanden gibt, der den »echten Bass« spielt. Aber das war für mich auch okay. Ich habe mich nie nur als Bassist verstanden. Ich habe damals zwar noch nicht produziert, aber ich wusste, dass ich nicht der Mucker-Typ sein werde, der für irgendwelche Gigs gehired wird, sondern dass ich eher was eigenes machen will.
Hast du dein Interesse für Indie-Musik im Studium beibehalten?
Ich habe nicht unbedingt für Indie-Musik gebrannt. Das hing stark an den Läden und dem Freundeskreis, mit dem ich unterwegs war. Ich habe da auch nie tief gediggt, sondern das gehört, was die anderen gehört haben. Das waren halt die guten Parties, wo meine Leute waren. Erst im Studium hat sich mein eigener Geschmack entwickelt. Ein richtiger Input-Schub kam 2016, da bin ich über Freunde in eine Crew um Radio 80000 reingekommen, das ist ein nicht-kommerzielles Online-Radio in München. Ich habe da eine Show gemacht und zum ersten Mal Leute in meinem Alter kennengelernt, die richtige Digger waren, und dadurch gecheckt, wie tief man nach Musik graben und wieviel man über Musik wissen kann.
Was lief in deiner Sendung?
Zuerst hatte ich eine Sendung mit Max Schachtner, mit dem ich jetzt das Label Squama zusammen mache. Unsere Show hieß »Island Magic«, da lief viel Bassmusik und Dubstep, diese Deep-Medi-Ecke. Dann hab ich einmal die Woche eine Morning Show gemacht, die sehr bunt gemischt war – weniger Clubsound, weniger Bass, mehr experimentelle Sachen und auch Jazz. Inzwischen haben Max und ich wieder zusammen eine Show, eine Labelshow. Da läuft alles von Jazz bis Elektronik, Experimental und Ambient. Wobei, Ambient zuletzt weniger. Ich habe gerade eine leichte Aversion gegen Ambient entwickelt, aber vielleicht ist das auch nur eine Phase. (lacht)
Man kann sagen, dass all diese Musik abseits des Mainstreams stattfindet. Warum hast du dich immer für eher abseitige Musik interessiert?
Naja, als ich in den ersten Bands gespielt habe, da haben wir schon auch Red Hot Chili Peppers gepumpt. (lacht) Mich packt aber generell bei Musik eher der Sound und die Energie als die Harmonik und die Komposition. Auch beim Jazz. Natürlich kann ich auch einen guten Popsong schätzen, aber generell spielt bei den nischigeren Sachen die Sorge darüber, dass es kommerziell nicht erfolgreich sein könnte, eine geringere Rolle, so dass diese Musik oft einfach krasser ist.
Wir haben uns vor ungefähr drei, vier Jahren kennengelernt. Damals hast du auch Hip-Hop-Beats produziert.
Ja, ich habe mal paar Sachen mit Fatoni und mit Juse Ju gemacht, aber das waren immer nur einzelne Tracks. Ich hatte ja schon 2014 mein erstes musikalisches Alias Occupanther an den Start gebracht, das ging auch schon in diese Beats-Richtung. Mich hat dieser Produktionsprozess gereizt, dass du halt an einem Loop rumfeilst und wenig brauchst, um es klingen zu lassen. Drums, Bass, ein gutes Sample – und dann ist es schon geil. So eine minimalistische und sich selbst limitierende Arbeitsweise hat mich immer angetrieben.
Deine heutige Band Fazer ist an der Hochschule zusammengekommen, richtig?
Ja, bis auf Matthias [Lindermayr] waren wir alle in einem Jahrgang. Aber erst als das Studium vorbei war, haben wir richtig miteinander gespielt. Mein Abschlusskonzert und das von Simon [Popp] waren die ersten beiden Shows in der heutigen Fazer-Besetzung. Und die waren ein voller Erfolg. (lacht) Also, das kam wirklich sehr gut an und wir haben auf der Bühne auch gemerkt, dass das funktioniert. Damals habe ich noch nicht in Albenzyklen gedacht, sondern die Idee war, dass wir ein paar Songs aufnehmen, damit wir Gigs spielen können. Über ein halbes Jahr verteilt haben wir drei Sessions gespielt und Songs aufgenommen. Ich habe sehr gutes Feedback aus dem Freundeskreis darauf bekommen, also kam die Idee auf, diese Auswahl als Album rauszubringen. Da wir kein Label gefunden haben, das so richtig zu uns passte, haben wir uns entschieden, es selbst zu veröffentlichen. Wir hatten damals gerade eine Förderung von der Stadt bekommen, ein Musikstipendium, und davon haben wir die erste Pressung des ersten Albums bezahlt.
Inwieweit gab es für Fazer eine musikalische Vision? Ihr habt eine Playlist mit »influences and current favorites«, aber soweit ich weiß, ist die Kuration ja eher dein persönliches Ding.
Ich glaube nicht, dass wir von Anfang an eine gemeinsame Vision hatten. Ich habe die Besetzung ja erstmal für mein Abschlusskonzert zusammengestellt. Da ging es darum, eine bestimmte Mischung hinzubekommen. Jeder bringt eine eigene Farbe und Temperatur ein. Ich habe die Musiker gar nicht so sehr nach Instrumenten ausgesucht, sondern eher nach Persönlichkeit. Wir haben zwar schon eine relativ große Schnittmenge an Musik, die uns allen gefällt, und ich glaube, dass die anderen mit der Musik in der Playlist auch etwas anfangen können. Aber bei Fazer bringt jeder etwas eigenes ein, ohne zwingend eine Vision für den gesamten Sound zu beanspruchen. Das ist wahrscheinlich eher meine Position, weil ich als Bassist am ehesten die Kapazitäten habe, das große Ganze im Blick zu behalten.
Du hast von Anfang an auch die Rolle eines Managers oder Bandleaders übernommen, einer Art Sprachrohr für die Band.
Ja, der Klassensprecher. (lacht) Das hat sich so ergeben, diese Dynamiken gibt es ja in jeder Gruppe.
Euer erstes Album hat sich für ein Album einer jungen Jazz-Band aus Deutschland überdurchschnittlich gut verkauft und auch im Streaming gut »funktioniert«. Gleichzeitig gab es in England plötzlich einen spannenden jungen Jazz-Underground. Eure Musik fühlte sich in dieser Zeit für mich so ein bisschen wie ein Außenposten dieser Szene an. Kannst du damit was anfangen?
Ja, voll. Das hat aber gar nicht so viel mit dem Zeitpunkt in der Geschichte zu tun, sondern eher damit, dass wir damals gerade mit dem Studium fertig geworden sind. Simon, Matthias und ich sind eben nicht rein jazz-sozialisiert, sondern wir kamen von einer anderen Warte, wo Sound und – ich nenne es jetzt mal in Anführungsstrichen – »Coolness« auch eine Rolle gespielt haben. Da versagt das akademische System oftmals. Harmonielehre und Technik sind natürlich wichtig, aber abseits davon geht oft unter, dass man auch eine eigene Vision entwickeln muss. Und das hat uns als Fazer eben ausgemacht.
Für die Aufnahmen zum zweiten Album »Nadi« seid ihr nach England gegangen, was die musikalische Nähe zu dieser Szene aber doch noch einmal unterstrichen hat.
Wir haben die Musik aus UK natürlich auch gehört und mitbekommen. Uns war aber vor allem klar, dass wir das zweite Album nicht in München aufnehmen wollten. Es gab damals in einem längeren Zeitraum nur eine einzige Woche, wo wir alle Zeit hatten. Das war vor Corona. (lacht) Damit wir alle auch im richtigen Headspace sind, wollten wir zum Aufnehmen unbedingt wegfahren. Ich hatte ein Studio in Wien angeschaut, kam dann aber auf die »Fish Factory« im Westen Londons, wo auch die Brownswood-Compilation aufgenommen wurde. Ich wusste, dass Ben Lamdin dort als Engineer arbeitet und dachte mir, dass da bestimmt ein guter Vibe herrscht. Also haben wir das einfach gemacht. Das war ein bisschen beflügelt von dem Erfolg der ersten Platte. Für die Mittel, die uns zur Verfügung standen, war diese Reise natürlich eigentlich viel zu teuer.
Hat euch der relative Erfolg eures Debüts überrascht?
Überraschender fand ich die positive Resonanz von den Leuten, denen ich es gezeigt habe, bevor es rausgekommen ist. Ich wusste aber: Wenn die das gut finden, dann wird es auch da draußen genug Leute geben, die es gut finden. Deswegen war ich dann nicht mehr so überrascht. Aber dass es so weite Kreise schlägt, war schon cool. Wir sind ja jetzt keine Hype-Band. Es geht in kleinen Schritten immer weiter und was sich da tut, ist im Allgemeinen einigermaßen voraussehbar, und über alles, was nicht so voraussehbar ist, freuen wir uns natürlich.
Um »Nadi« zu veröffentlichen, habt ihr offiziell das Label Squama Recordings gegründet.
Genau, das erste Album habe ich in Eigenregie veröffentlicht, aber Max hatte dafür auch schon das Artwork gemacht. Zum zweiten Album haben wir unsere Zusammenarbeit institutionalisiert und zusammen das Label gegründet.
Inzwischen habt ihr 12 Einträge in der Label-Diskografie, und zwar nicht nur Veröffentlichungen von Fazer oder Solowerke von euren Bandmitgliedern.
Nein, wir haben auch das Album »Ursgal« von Enji herausgebracht, einer mongolischen Sängerin, die vor drei oder vier Jahren über ein Austauschprogramm zwischen den Hochschulen nach München gekommen ist. Das war die erste Platte, die nicht aus unserem engeren Zirkel kam. Anfang nächsten Jahres kommt ein Album von Damian Dala Torre, einem Saxophonisten aus Leipzig. Das ist die erste Platte, die auf eine Demo-Einsendung hin rauskommt.
Was muss eine Platte haben, um bei Squama aufs Label zu passen?
Gute Frage. Man kann das schwer in Worte fassen. Bisher waren Max und ich uns immer einig, wenn wir etwas gehört haben, ob es passt oder nicht. Man kann das aber nicht an einer Checkliste festmachen. Eine Platte, die bei Squama rauskommt, sollte in der Regel nichts sein, was auch woanders hätte rauskommen können. Sie sollte besonders sein, was die Form, den Sound oder die Besetzung angeht. Und das kann man bezüglich aller Platten sagen, die wir bisher rausgebracht haben. Fazer ist bei uns schon die »normalste« Besetzung. Wir hatten ja auch schon Drum-Duo-Platten oder eine Platte aus Akustikgitarre und Percussions. Enji wird auf ihrem Album nur von Kontrabass und Gitarre begleitet.
Mir hat besonders gut dein Soloalbum »Music For Video Stores« gefallen, das ich stilistisch im weitesten Sinne unter »Ambient Jazz« einsortieren würde. Wie ist dieses Album entstanden?
Das ist ganz klischeemäßig im Lockdown entstanden, in der ersten Hälfte 2020. Ich hatte vorher übergangsweise ein Studio im Osten von München. Das war siffig, viel zu teuer und hatte kein Tageslicht. Ein halbes Jahr habe ich mich dort abgemüht, aber es ist nichts passiert. Mit Beginn vom Lockdown habe ich mein Zeug wieder nach Hause geholt. Auf einmal saß ich da in meinem Wohnzimmer, die Sonne hat reingeschienen, ich hatte Zeit ohne Ende. Da habe ich Ruhe gefunden, wieder Musik zu machen. Erstmal habe ich Platten gehört und immer, wenn eine Stelle kam, die interessant für mich klang, habe ich sie gesamplet. Drei Wochen lang habe ich jeden Tag Tracks gemacht, dann war das Material da. Doch das Leben ging plötzlich weiter…
Der Sommer kam, die Lage schien sich zu beruhigen…
Genau. Im September habe ich das Album dann fertiggemacht und gemischt. Max hat immer einen disziplinierenden Einfluss auf mich, weil er da hinterher ist, dass die Sachen fertig werden. Auf dem Album sind sehr wenig Drums zu hören, was auch mit der Arbeitssituation zu tun hatte. Ich war ja bei uns im Wohnzimmer und hatte keine Absorber an die Wand gehängt oder Bassfallen aufgestellt. Wenn ich dort Drums programmiert habe, war das sehr stressig und anstrengend. Also habe ich lieber mit wabernden, smoothen Sounds gearbeitet. Man spielt ja als Band auch immer mit dem Raum, in dem man spielt. Das fand ich im Nachhinein spannend, dass das beim Produzieren durchaus auch so sein kann.
Die Stücke hast du ohne Titel an Freund*innen geschickt, die dir ihre Assoziationen dazu rückgemeldet haben. Daraus sind die Songtitel entstanden.
Genau. Für mich war das Album so eine Art Blanko-Soundtrack, ich hatte dazu beim Produzieren und auch danach keine konkreten Bilder im Kopf. Ich bin generell kein Mensch, der Musik visuell hört. Also kamen Max und ich auf die Idee, dass man ja auch andere Leute nach ihren Assoziationen und Geschichten, nach Worten oder Zeilen fragen könnte. Manche haben auch direkt noch Feedback zu den Songs gegeben – was ja cool ist. Daraus sind die Titel der Songs und des Albums entstanden.
Du hattest vorher schon einige EPs unter deinem Occupanther-Alias gemacht, die eher in eine elektronische, basslastige Richtung gingen. Warum hast du dich entschieden, das Album unter deinem bürgerlichen Namen zu veröffentlichen?
Als Occupanther hatte mich ein bisschen verrannt, und mit diesem Album habe ich mich wieder fokussiert. »Music For Video Stores« ist mein erstes Album, daher hat es für mich Sinn gemacht, es unter meinem echten Namen zu veröffentlichen.
Nun erscheint im Januar 2022 das dritte Fazer-Album »Plex« bei City Slang. Habt ihr das auch im Lockdown aufgenommen?
Die Aufnahmen fanden tatsächlich in der letzten Woche vor dem ersten Lockdown statt. Das Album lag dann recht lange herum, weil erstmal überhaupt nicht klar war, wie alles weitergeht. Ende 2020 hat es sich dann ergeben, dass wir das Album über City Slang veröffentlichen werden. Ich habe bei Squama schon auch gemerkt, wo unsere Grenzen liegen. Fazer ist ja in erster Linie eine Live-Band. Wir wollen und müssen viel spielen, sind »working musicians«. Und wir haben gemerkt, dass es außerhalb von Deutschland bislang noch schwierig ist. Wir sind eben ein sehr kleines deutsches Label ohne Dependancen und Promo-Power im Ausland. Abgesehen davon ist City Slang natürlich einfach ein gutes Label und in meiner Teenager-Zeit waren ihre Releases auch prägend, zum Beispiel Tortoise oder Caribou. Die sind zwar inzwischen ein großes Label, haben aber noch Indie-Spirit. Die Wege sind kurz, alle sind musikbegeistert, und wenn es ein Problem gibt, kann man auch mal den Christof [Ellinghaus, Gründer von City Slang] anrufen. Beim Major geht das natürlich nicht, da musst du froh sein, wenn du dem Chef mal die Hand schütteln darfst. Und wir machen ja auch immer noch viel selbst, auch das Artwork. Und jetzt, fast zwei Jahre nach den Aufnahmen, erscheint das Album.
Wir treffen uns hier gerade in der temporären Wohnung von einem Freund von dir, dem Komponisten Carlos Cipa. Ihr arbeitet gerade an einem Soundtrack für einen Film, richtig?
Genau. In meinem Freundeskreis waren schon immer viele Filmer, also habe ich irgendwann angefangen, solche Jobs zu machen. Früher habe ich auch einige Werbeaufträge gemacht, das mache ich jetzt gott sei dank nur noch sehr selten. Diese Art von Arbeit war emotional schon sehr erschöpfend. Das mit den Filmen und Serien hat sich so ergeben. Seit einer Weile mache ich das meistens mit Carlos zusammen. Wir haben uns vor einigen Jahren kennengelernt und es hat direkt gut funktioniert. Zwischen uns herrscht immer eine gute Arbeitsatmosphäre. Die Arbeit ist angenehmer und das Ergebnis wird besser, wenn wir es zu zweit machen.
Bei all meinen Freund*innen, die als Musiker*innen arbeiten, steht irgendwann im Mittelpunkt, eine Balance zu finden zwischen Projekten, die zum Broterwerb notwendig sind, und Projekten, die rein aus Leidenschaft verfolgt werden oder dem künstlerischen Ausdruck dienen.
Das ist die große Kunst, dass man aufpasst, dass die Musik, die man nur um der Musik willen macht, nicht zu kurz kommt. Ich merke auch immer wieder, wenn sich Projekte über Wochen ziehen, dass ich Musik brauche, die ich nur für mich mache, weil die Musik halt auch ein Ventil ist. Natürlich macht es auch Spaß, einen Filmsoundtrack zu komponieren, aber es ist einfach was anderes, wenn man Musik macht, weil sie gerade aus einem herauskommt. Ich bin aber noch lange nicht in einem Modus angekommen, der für mich gut funktioniert. Ich muss mir selbst immer wieder bewusst machen, wie wichtig die Zeit für meine eigenen Projekte ist. Diese Phasen finde ich extrem wichtig und wertvoll und da suche ich immer noch nach einer Balance.
Du machst primär instrumentale Musik, die nicht direkt eine klare inhaltliche Botschaft hat. Was treibt dich künstlerisch an?
Wenn ich Musik mache, geht es vor allem darum, Sounds zu finden und etwas zu kreieren; verantwortlich dafür zu sein, dass Musik entsteht, wo vorher keine Musik war. Das ist es, was mich im Grunde fasziniert. Das ist schon ein Wert für sich, und wenn die Musik cool ist, dann ist es natürlich noch besser. (lacht)
Ich weiß aber, was du meinst, ich habe vorhin auch deinen Newsletter gelesen, wo es um das Thema ging. Bei mir ist es so, dass ich auch Vokalmusik erstmal völlig unabhängig von Text und Inhalt höre. Manchmal verstehe ich nach Jahren erst, was da eigentlich gesungen wird. Manchmal entsteht daraus auch eine Vielschichtigkeit, weil der Text etwas völlig anderes sagt, als was man aufgrund der Musik vermutet hätte. Nimm zum Beispiel »Landslide« von Fleetwood Mac, ein absoluter Hit, aber im Text geht es um den Tod von Stevie Nicks’ Eltern. Und letztlich singt sie natürlich auch nur so intensiv, weil sie eben genau diesen Text singt und weil sie dort ihre Emotionen hineinlegt. Daher trägt das Stück auch im Subtext diese Bedeutung, selbst wenn man den Text gar nicht versteht.
Das stimmt. Aber nehmen wir einen anderen Fleetwood-Mac-Song als Gegenbeispiel: »Dreams« war für mich immer ein schönes, entspanntes Liebeslied, bis ich verstanden habe, dass es darin eigentlich um eine harte Trennung geht. Der Text gibt dir also eine Limitation, wie du die Musik zu verstehen hast. Eine Beschränkung, die ich gar nicht notwendig finde.
Ja, selbst ein Songtitel kann ja schon eine Richtung in der Assoziation vorgeben.
Deswegen verwenden manche Künstler*innen bewusst keine Songtitel.
Oder nur sehr kryptische.
Du meinst so wie »E 79th«? Ich finde das zum Beispiel einen sehr guten Songtitel, weil er zwar assoziativ etwas auslöst, aber ich weiß ja nicht, was die Person, die sich den Titel ausgedacht hat, auf der Upper East Side erlebt hat, sondern ich wühle in meinen eigenen New-York-Erinnerungen.
Richtig. Das ist lange nicht so eindeutig, als hätte man den Song jetzt beispielsweise »Hiroshima« genannt.
Was sind die Pläne für das Jahr 2022, für dich, für Fazer, aber auch für Squama?
Bei Squama ist das Jahr schon mit Releases durchgeplant. Da sind viele Platten dabei, auf die ich mich sehr freue, zum Beispiel eine Duo-Platte von Matthias Lindermayr mit Matthieu Bordenave – das ist ein Saxofonist, der 2020 sein ECM-Debüt hatte. Wir nehmen auch ein zweites Album von Enji auf, und ich werde noch einige weitere Platten produzieren. Die dritte Fazer-Platte kommt im Januar, im Frühjahr sind wir auf Tour – fingers crossed. Natürlich hoffe ich im Sommer auf ein paar Festivals. Spätestens Ende des Jahres werden wir sicher an der nächsten Platte arbeiten. Was spannend wird, weil ich im Gefühl habe, dass sie sehr anders wird. Die ersten drei Platten haben wir genutzt, um das Fazer-Rezept immer weiter zu verfeinern, aber ich glaube, jetzt ist bei allen der Wunsch da, noch mal einen ganz anderen Ansatz zu fahren und den Sound wirklich zu verändern.
Danke fürs Lesen!
Folgt meiner Playlist:
© Stephan Kunze, 2022